Zu einem Vortrag „Intensive Landwirtschaft und Artenschutz – wie verträgt sich das?“ hatte die SPD- Butzbach in der letzten Woche eingeladen. Zahlreiche Gäste und Fachleute waren im Dorfgemeinschaftshaus Butzbach-Ostheim waren – unter Beachtung der Coronaschutz und – abstandsregeln – erschienen. Zielpunkt des Vortrags war es, Möglichkeiten der Verbesserung des Artenschutzes in der Wetterau aufzuzeigen.

„Gibt es noch genügend Wohnraum für die ́wilden` Tiere in unserer Heimat?“ Mit dieser bildhaften und zugleich drängenden Frage eröffnete der stellv. Vorsitzende Hubert Meyer den Abend und skizzierte das Spannungsfeld, in dem sich das Thema bewegt: Der Lebensraum für die wildwachsende Flora und Fauna wird in der Wetterau immer knapper. Die Wetterau sei eine sowohl städtebaulich, als auch gewerblich und industriell, als auch landwirtschaftlich intensiv genutzte Landschaft! All die obengenannten Nutzungsarten konkurrieren miteinander: Was bleibt denn da noch für den Arten- bzw. den Wildlebensschutz ?

Diplom Agrarwissenschaftler Ralf Eichelmann, der heute Fachstellenleiter der Abteilung Landwirtschaft im Bereich Agrarförderung und Agrarumwelt beim Wetteraukreis in Friedberg ist, eröffnete seinen Vortrag, in dem er dieses Spannungsfeld noch durch fünf weitere, eine Lösung noch verschärfende, Faktoren ergänzte:

1. Wir verbrauchen für unseren Lebensmittelkonsum in der Bundesrepublik Deutschland an Menge, Vielfalt und Qualität viel mehr Ackerland, Wiesen und Gewässer als in unseren heimischen Gefilden

zur Verfügung steht! Jeder Bundesbürger (ver-)braucht für seine Ernährung pro Kopf mindestens 4200 qm fruchterzeugende Fläche (in Deutschland zur Verfügung stehen aber nur 1500 qm pro Kopf). D.h., um unsere Ernährung zu decken, müssen wir Millionen von Hektar an Agrarland in Anspruch nehmen, das wir hier nicht haben. Deutschland ist zwar auch Exporteur von Lebensmittel, aber für alle europäischen Länder gilt, dass sie in der Differenz ohne die Flächen in z.B. Süd- und Mittelamerika (Soja, Bananen, Orangen, Kaffee, Fleisch) und z.B. In Indonesien (z.B. Palmöl) u.a. Ländern nicht auskommen.

2. Dadurch „exportieren“ wir „verdeckten Hunger“, in dem wir durch unsere übergroßen Lebensmittelimporte für eine Unterversorgung hieran in denjenigen Ländern sorgen, die diese exportieren müssen.

3. Die hiesigen Landwirte stehen unter hohen Kosten- und Erfolgsdruck. Sie erhalten keine kostendeckenden Preise, da sich ihre Herstellungspreise an Export- und Importpreisen orientieren (müssen). Zwar erhalten die Landwirte aus – einer Summe verschiedener Gründe – eine Subventionierung von (durchschnittlich) ca. 250 Euro pro Hektar, die aber nicht zu größeren Gewinnmargen führt, sondern für die Betriebe überlebenswichtig sind.

4. Die Europäische Agrarpolitik und geringen Margen haben zu einer jahrzehntelangen Ausrichtung auf Erhöhung der Betriebsgrößen, der Produktivität und der Prozessoptimierung geführt, von der wir alle profitiert haben. Wegen des hohen Hektarertrages in der Wetterau sehen daher viele Landwirte in einer Umstellung auf den biologischen Landbau keine Lösung (Siehe auch Aktion „grüne Kreuze“)

5. Auch der durch die Monopolisierung im Handel herbeigeführte Preisdruck im Lebensmittelbereich (insbesondere bei der Milch) ist ein großes Hindernis für den Umweltschutz bzw. auf die extensive Landwirtschaft.
Dennoch, so Eichelmann, müsse dringend etwas für den Artenschutz im Ackerland getan werden. Denn die bisherigen geförderten „Greening“-Maßnahmen, wie z.B. „H.A.L.M.“ haben den Staat Millionen gekostet, aber wenig gebracht, weil die örtliche Festlegung der Flächen weitgehend allein von der betrieblichen Entscheidung des jeweiligen Landwirtes abhänge.

Dann führt Eichelmann mittels eines Rückblick auf die Entstehung der Landwirtschaft in Hessen den Zuhörer zur heutigen Situation: Er erläuterte, dass sich die Eiszeiten von etwa 60-80000 Jahren stetig mit den Warmzeiten von etwa 10-20000 Jahren abwechselten und wir uns also zur Zeit etwa in der Mitte einer Warmzeit befänden, die vor etwa 10-12.000 Jahren begonnen habe. Da die Erde im Wetteraukreis wesentlich fruchtbarer und das Klima hier viel milder im Vergleich zum Ostkreis und zum Vogelsbergkreis gewesen sei, hätten die Menschen schon vor über 9000 Jahren begonnen, hier zu siedeln. Sie hatten Schafe und Ziegen in kleinen Herden, manchmal schon Pferde. Diese hüteten sie auf Baumbestandenen Wiesenflächen, den „Hutungen“. Es waren die Vorläufer der Obstbaumwiesen. Er nannte die wichtigsten Großtiere an Wild-, Raub- und Haustieren, die seit dem Beginn der jetzigen Warmzeit hier gelebt hatten und die die Anfänge der Landwirtschaft im hessischen Raum mitprägten.

Später kam der Ackerbau hinzu, der aber noch vor 200 Jahren – im Vergleich zu heute – einen Bruchteil des heutigen Ertrages abwarf. Das hat, so Eichelmann, mit sechs Dingen zu tun:

Zum einen ist durch Weiterentwicklung und Züchtung der Fruchtertrag pro Einzelpflanze vervielfacht worden.

Zum zweiten hat sich die Bodenqualität seit den Forschungsergebnissen eines Justus von Liebig durch richtige Düngung mehr als verdoppelt.

Zum Dritten wurde die Ernteergebnisse durch die Optimierung der Saat- und Erntetechniken deutlich gesteigert.

Zum vierten werden viele Äcker oft zweimal im Jahr bestellt.

Fünftens gibt es einen massiven Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Gerade dieser ist es, der die Landwirte so schwer in Verruf gebracht hat, weil er die Wildpflanzen und Insekten stark zurückdrängt, die Futtergrundlage aller weiteren Kleintiere sind.

Und sechstens hat die Größe der Felder und die der Landmaschinen enorm zugenommen.

Ralf Eichelmann zeigt anhand von Luftbildaufnahmen von 1933 und heute am Beispiel von Butzbach- Ostheim die Veränderungen in den Flächengrößen, -aufteilungen und Nutzungsarten, wie sich die Landschaft verändert hat.
Während 1933 noch kleinteilige Ackerflächen und große Wiesenauen das Bild bestimmen, herrschen 2020 Ackereinheiten von je mehreren Hektar-Flächen vor.

Auch wenn Ralf Eichelmann die Größeneinheiten der Einzeläcker noch nicht als so sehr bedrohlich ansieht, so ist ihm doch insbesondere als Naturschützer klar, dass es vor allem die Vollständigkeit und die Durchrationalisierung der Nutzung unserer Landschaft in räumlicher und zeitlicher und in chemischer Hinsicht ist, die zum großen Artenschutzrückgang in den letzten Jahren wesentlich mitgewirkt haben.

Für die wildlebende Fauna bleiben nur kleine „Resträume“ und die auch nur für begrenzte Zeit im Jahr. Hinzu kommt auch das große Problem der größer werdenden Zahl heimischer Raubtiere, wie z.B. Füchse, Dachse, Elstern, die alle gesetzlich geschützt seien. Und ganz besonders die Waschbären, die Kleintieren und insbesondere den Bodenbrütern arg zu schaffen machen.

Aus all den obengenannten Gründen sind für den Wissenschaftler Ralf Eichelmann drei Anforderungen für den Naturschutz in der offenen Agrarlandschaft zentral:

  1. Der Naturschutz im Bereich des Wildtier- und Artenschutzes muß einer langfristigensystematischen kommunalen Planung folgen. Hier nennt er die als Vorbild die Gemeinde Reichelsheim, die schon seit vielen Jahren einen ausgebauten Fachbereich hat, der proaktiv für den Naturschutz in der Kommune arbeitet.
  2. Die jeweilige Einzelmaßnahme bzw. das Einzelprojekt muß bestimmten Qualitätskriterien genügen, die den Schutzerfolg für bestimmte Tierarten sicherstellen. „Greening“ allein genügt nicht.
  3. Jede Maßnahme muß für die betreffenden Tiere ganzjährig die folgenden Eigenschaften sicherstellen: Futter, Schutz und Deckung, Brutmöglichkeit und Freillaufflächen.

Agrarwissenschaftler Ralf Eichelmann zeigte anhand von Bildern und Schemata wie solche vierteiligen „Tierschutz Felder“ angelegt werden müßten. Immer wieder betont Eichelmann die Wichtigkeit der Ganzjährigkeit der Futterversorgung und der Mehrjährigkeit solcher Schutzmaßnahmen. Ausführlich ging der Naturschützer Ralf Eichelmann daher auf das „Naturschutzgebiet Mähried“ in der Nähe des Reichelheimer Flughafens ein.

Bei dem Reichelsheimer Mähried handelt es sich um Wiesen, die regelmäßig überflutet werden und ständig durch grasende Kulturtiere oder Mähmaschinen kurzgehalten werden. Dies ermöglicht vielen Pflanzen und Vogelarten die Wiederansiedlung in diesem Gebiet. Wichtig ist, dass auf die verschiedenen Bedürfnisse der Wiesenvögel eingegangen wird.

Erst zum „Hotspot“ für Brutvögel wurde es, so Eichelmann, als das riesige Naturschutzgebiet von einem hohen Zaun zum Schutz vor Raubtieren umgeben wurde.
Ausführlich und mit zahlreichen Beispielen geht Ralf Eichelmann auch auf das richtige Anlegen von Blühstreifen und Blühwiesen ein.

Auch diese bedürfen der Pflege und der Überarbeitung, sagt er. Es kommt öfter vor, dass diese „Verkrauten“, d.h., dass sich allein eine oder wenige schnellwüchsige Pflanzen durchsetzten. Dieser Prozess kehre sich allein nicht wieder um.
Auch müsse man manchmal breite Naturschutz-Feldränder oder zu Wildschutzwiesen umgewandelte Graswege mit dem Einsatz weiß-rot-gestrichener Pfosten vor dem „Abdriften“ der Landmaschinen auf die Seitenstreifen schützen.

Zusammenfassend kann man festhalten, dass es für den Naturschützer und Agrarwissenschaftler Ralf Eichelmann nicht notwendig wäre, dass 10% Prozent der landwirtschaftlichen Flächen für den Natur- und Artenschutz frei gemacht werden müssten, wie es z.B. die Grüne Umweltministerin Priska Hinz fordere. Es würde ein kleinerer Prozentsatz an Acker- und Wiesenflächen in einer Kommune reichen, wenn sie hohe Qualitätskriterien erfülle. Auch dadurch ließe sich ein Grundbestand an heimischen Arten sichern.

Einfaches Anlegen von Grünflächen auf Äckern oder ein paar Wochen länger das Getreide stehen zu lassen, bringe für den Artenschutz wenig.

Auch von Landwirten befahrene Graswege können artenreich sein, wenn außer den beiden Fahrstreifen der Weg nicht durch Mahd oder Pflanzenschutzmittel beschädigt wird. Diese Wiesenwege müssen ebenfalls geschützt und gepflegt werden.
Jede Kommune sollte mit der grundlegenden Erfassung der verfügbaren Flächen und der Feldwege mit der Naturschutzplanung beginnen und ein Konzept für den Artenschutz ausarbeiten. Diese Flächen sollten in Auswahl und Gestaltung den Bedürfnissen der Wildtiere folgen.

Dabei sollte eine Kommune in enger Zusammenarbeit mit Landwirten, Jagdpächtern und Naturschützern stehen, stehen, da der Artenschutz nur gemeinsam verbessert werden kann. Es gibt schon viele Fördermöglichkeiten!
Viele Landwirte sehen schon selbst, dass sie etwas tun müssen – und wollen auch etwas tun. Eichelmann nennt mehrere Namen von Landwirten, die wirklich vorbildhaft arbeiten. Zudem entstünden hier neue Arbeitsplätze im Naturschutzbereich.

Nach Ende des Vortrages, dem sich eine lange rege Diskussion anschloss, bedankte sich der Vorsitzende Dr. med. vet. M. Görlach herzlich für die vielen wertvollen Informationen und versprach sie in seinen kommenden politischen Überlegungen zu berücksichtigen.
Es ehre den Naturschützer Ralf Eichelmann, dass er in seine Überlegungen zu einem erweiterten Naturschutz hier vor Ort immer auch die dadurch in Übersee verursachte zusätzliche Naturzerstörung mit einbeziehe.
Auch ehre ihn weiterhin, dass er den Lebensmittelkonsumverzicht aus Gründen der Welternährung und als ersten und wichtigen Beitrag zum Naturschutz an den Anfang seines Vortrages gestellt habe.

Alle kamen zu dem Schluss, dass dieser Vortrag eine gute Brücke baue für die Kommunen, die noch nicht wissen, wie sie den Artenschutz politisch umsetzen sollen: Eichelmann zeigte, dass es machbar sein kann, mit einem kleinen Prozentsatz an gut eingesetzten und gehegten Flächen ein Überleben eines Grundbestand vieler heimischer Wildtiere in den kommenden Jahren zu erreichen!

Hubert Meyer, Stellv. Vorsitzender SPD Butzbach

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